2.
Lernen und Lehren Im Rahmen dieses Kapitels wird ein grober Einblick in die Grundlagen des Lernens und der Lerntheorien gegeben. Für das Planen und Entwerfen von computerbasierten Lehrangeboten ist es von Nöten, zumindest die wichtigsten Begriffe der Didaktik verstanden zu haben. Die folgenden Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nach der klassischen, immer wieder zitierten Definition von BOWER/ HILGARD (1983, 31) bezieht sich Lernen auf "die Veränderung im Verhalten oder im Verhaltenspotential eines Organismus in einer bestimmten Situation, die auf wiederholte Erfahrungen des Organismus in dieser Situation zurückgeht..." [Schröder]. Damit sind nicht angeborene Reaktionstendenzen (z.B. Nestbau bei Vögeln) , reifungsbedingte Veränderungen (z.B. das tiefere Sprechen nach dem Stimmbruch) oder Veränderungen durch Ermüdung, Triebe oder einen Rausch gemeint, vielmehr ist das eigentliche Lernen ein nicht beobachtbarer Vorgang, eine Folgerung aus der dauerhaften Veränderung des Verhaltens aufgrund von Erfahrungen. Schon früh versuchten Psychologen die Kenntnisse über Lernen und bzw. die Zusammenhänge zwischen Lernbedingungen und Lernergebnissen zu systematisieren. Ergebnis dieser Bemühungen waren und sind die Lerntheorien, aus welchen wiederum die Lernmodelle abgeleitet wurden. Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Lerntheorien. Seit Beginn der Lernpsychologie um die Jahrhundertwende wurden die Lerntheorien durch immer neue Erkenntnisse vor allem über die Zusammenhänge der menschlichen Informationsverarbeitung beeinflußt. Dies führte im laufe der Zeit zu neuen bzw. Erweiterungen der bestehen Theorien. Trotzdem hat jede einzelne für sich weiterhin ihre praktische Daseinsberechtigung, ohne dabei die anderen in Frage zu stellen. Thematisch lassen sie sich in drei große Bereiche unterteilen: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus. 2.2.1
Theorien des Behaviorismus Die bekanntesten Theorien dieser Kategorie stammen von Iwan Pawlow (klassische Konditionierungstheorie) und Burrhus Skinner (operantes Konditionieren). Allen gleich ist die Annahme, den Organismus als eine Art Reiz-Reaktions-Verknüpfungs-System zu sehen. Lernen ist demnach ein konditionierter Reflex. Durch einen geeigneter Stimulus wird ein bestimmtes Verhalten hervorgerufen. Die nach diesen Theorien aufgebauten
Lernmodelle sind zum einen sehr körperbetont und zum
anderen autoritär. |
Abbildung 1 | ||
Quelle: [Baumgartner], S. 138 |
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2.2.2
Theorien des Kognitivismus Sowohl die Gestalttheorien, als auch die Theorien zur Informationsverarbeitung durch das menschliche Gehirn, sind dem Kognitivismus zu zuordnen. Der Kognitivismus sieht Lernen als einen Prozeß der Informationsverarbeitung des menschlichen Hirns. Es werden richtige Methoden und Verfahren erlernt, um richtige Antworten zu finden. Mit Hilfe dieser Definitionen sind soziale Lernprozesse und aktive Handlungsprozesse erklärbar. |
Abbildung 2 | ||
Quelle: [Baumgartner], S. 138-139 |
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2.2.3 Theorien des Kontruktivismus
Aufbauend auf den Theorien des Kognitivismus, wird im
Kontruktivismus das Lernen als aktiver Prozeß eingestuft, bei
dem Wissen in Beziehung zu früheren Erfahrungen in komplexen
realen Lebenssituationen konstruiert wird. Die eigenen
persönlichen Erfahrungen des Lernenden stehen dabei im
Vordergrund. Es wird versucht aus dem Groß der Situation
Lösungen zu entdecken. Der Lehrer wird hierbei zum
"Coach". Er unterstützt den Lernenden beim
Zurechtfinden im Umgang mit komplexen Situationen. Folglich wird
dem Lehrer damit große Erfahrung mit dem Thema unterstellt.
Abbildung 3 | ||
Quelle: [Baumgartner], S. 138-139 |
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2.3 Die Lernmodelle der Lernforschung
Den Lerntheorien untergeordnet wurden diverse pädagogisch-methodische Konzepte entwickelt, die das "Wie" des Lernens zu beschreiben versuchen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden einige Modelle im Folgenden kurz vorgestellt.
2.3.1 Klassische
Konditionierung nach Iwan P. Pawlow
Iwan Pawolow gelang es um die Jahrhundertwende, seine Theorie der Reiz-Reaktions-Verbindung praktisch zu belegen. Der berühmt gewordene Pawlowsche Hund diente dabei als praktisches Beispiel. Laut seiner Theorie lernt ein Organismus auf einen bestimmten neutralen Reiz, welcher als konditionierender (bedingter) Reiz zusammen mit einem unkonditionierten (unbedingter) Reiz auftritt, mit einer unbedingten Reaktion zu antworten. Wurde der Organismus erfolgreich konditioniert, dann wird die Reaktion auch nach dem Weglassen des neutralen konditionierenden Reizes hervorgerufen. Aus dem unkonditionierten Reiz wurde ein konditionierter Reiz.
Diese Theorie erläutert sich am Beispiel des Hundes wie folgt: Dem Hund (Organismus) wird Fleischpulver (unkonditionierender Reiz) gezeigt, was einen Speichelfluß (unkonditionierte Reaktion) bewirkt. Zur gleichen Zeit hört der Hund eine Glocke läuten (neutraler Reiz ohne relevante Reaktion). Wurde der Hund erfolgreich "konditioniert", dann wird bei Ihm schon nach ertönen der Glocke Speichelfluß einsetzen, ohne daß er das Fleischpulver gesehen hat. Aus dem Speichelfluß wurde damit eine konditionierte Reaktion. Die Glocke wurde dabei vom neutralen zum konditionierenden Reiz.
Tatsächlich ist dieser Zusammenhang auch in Form einer Reizgeneralisierung am Beispiel Prüfungssteß erkennbar. Prüfungsstreß verursacht bei einem Schüler Brechreiz. Immer wenn der Schüler eine Prüfung schreibt macht der Lehrer ein ernstes Gesicht. Bei entsprechender Konditionierung kann es passieren, das beim Schüler auch ohne Prüfung nur auf ein ernstes Gesicht des Lehrers hin ein Brechreiz bewirkt wird.
Ähnlich ist dabei auch eine Gegenkonditionierung möglich.
Ein negativer Stimulus (z.B. eine Angst vor Spinnen) wird im
Zusammenhang mit einem positiven Stimulus (z.B. Lieblingsspeise)
gezeigt. Durch Auslöschung wird der negative Stimulus durch den
positiven unterdrückt (die Angst wird überwunden). Diese
Erkenntnis wird zum Beispiel in der Verhaltenstherapie
eingesetzt.
2.3.2 Operantes
Lernen nach Skinner
Wie auch die klassische Konditionierung gehört das operante Lernen zum Behaviorismus. Skinner erweitere dabei Pawlows Theorie, indem er den Reiz erst dann dem Organismus präsentiert, wenn eine bestimmte Reaktion gezeigt wird. Der Aufbau des Verhaltens (der Reaktion) kann dabei auf zwei verschiedene Arten geschehen: zum einen durch Darbietung einer angenehmen Konsequenz (z.B. Lob oder Futtergabe), dies bezeichnet er als positive Verstärkung; zum anderen durch Entzug einer unangenehmen Konsequenz, dies nennt er negative Verstärkung.
Wird die negative Verstärkung in Form von Strafe dargeboten, dann bewirkt dies eine Unterdrückung, es ist im eigentlichen Sinne also keine Verstärkung sondern eine Löschung. Ebenfalls zur Löschung einer Verhaltensweise kommt es, wenn das Verhalten nicht bekräftigt wird.
Skinner hat außerdem herausgefunden, daß intermittierte
Verstärkung (z.B. Futtergabe nur nach jedem dritten drücken)
außerordentlich resistent gegen Löschung ist. Zudem stellte er
die Existenz einer Selbstverstärkung fest. Im Gegensatz zur
gesetzten Verstärkung von außen, wird hier der Reiz vom
Organismus selbst gegeben (z.B. jemand belohnt sich nach
erfolgreicher Arbeit mit einem alkoholischen Getränk).
2.3.3 Lernen am
Modell nach Bandura
Nach Banduras Vorstellung des Lernens am Modell, steht das
Beobachtungslernen als zentraler Lerntyp im Mittelpunkt. Dieses,
zwischen dem Behaviorismus und Kongitivismus angelegte
Lernmodell, ist in vier Phasen unterteilt:
Behavioristischer Teil
1. Aufmerksamkeitszuwendung (auf das im Modell gesehene Verhalten)
2. Behaltensphase (Speicherung des Verhaltensschemas)
Kognitiver Teil
3. Reproduktionsphase (der Effekt des Verhaltens wird ausgewertet)
4. Motivationale Phase (der Effekt des Verhaltens wird
ausgewertet und entschieden, ob das Verhalten wiederholt wird
oder nicht)
Der Lernvorgang des Menschen wird also als Beobachtung seiner
Umwelt, dem Interpretieren daraus gewonnener Eindrücke, den
damit generierten Handlungsentwürfen und schließ den
ausgewerteten Reaktionen definiert. Auf diese Weise kann erklärt
werden, warum in einige Fällen Jugendlichen zur Zigarette
greifen aber andere nicht. Das Erkennen der Bedeutung des
Rauchens an Hand der Werbung oder dem Verhalten Gleichaltriger
und die Speicherung des Verhaltensshemas ist in gewisser Weise
eine "Reiz-Reaktions-Verbindung". Die Entscheidung ob
rauchen oder nicht, ist allerdings letztendlich eine
motivationale Entscheidung, ausgewertet aus den zuvor gewonnen
Eindrücken.
Mit seinen 8 Lerntypen schaffte Gangé endgültig die
Verbindung zwischen Behaviorismus und Kognitivismus. Wie beim
Kognitivismus allgemein, sieht er für die Lerntypen weniger die
äußeren Bedingungen (Reize, Verstärkungen) als bedeutend an,
sondern vielmehr die innere Repräsentation und Verarbeitung der
Umwelt. Seinen Ausführungen nach gibt es diese 8 Lerntypen:
1. Signallernen (siehe Pawlow)
2. Reiz-Reaktions-Lernen (siehe Skinner)
3. motorische Kettenbildung
4. sprachliche Kettenbildung
5. Lernen von Unterscheidungen/ Diskrimination
6. Begrifflernen
7. Regellernen
8. Problemlösen
Die Lernarten bauen in diesem Modell hierarchisch auf einander auf. Bevor die nächst höhere komplexere Stufe angegangen werden kann, muß die darunterliegende beherrscht werden. Mit diesem Modell, hat Gagné eine Art Karte für das schulische Lernen geschaffen. Der Lehrer ordnet hierbei die Teilaufgaben des zu lernenden Stoffes in einer hierarchischen Sequenz an.
2.3.6
Informationsverarbeitung nach d. Computermod. v. Bowser/Hilgard
Die 1984 entwicklelte Theorie von Browser und Hilgard sieht
Lernen als eine Informationsverarbeitung im Gehirn. Es wird hier
zwischen Lang- und Kurzzeitgedächtnis unterschieden. Abbildung 4
veranschaulicht den Ablauf dieses Prozesses.
Abbildung 4 | ||
Quelle: [Gudjons], S.205 |
Bei der Informations-verarbeitung wird unter zwei großen Wissensbereichen unterschieden: Kurz- und Langzeitgedächtnis. Ein Stimulus wird kodiert und durchläuft unter verschiedenen Gesichtspunkten einen Verarbeitungs-prozess. |
Die Information wird in Form eines Stimulus aufgenommen und
einem Kodierungsmechanismus unterworfen. Das Ergebnis der
Kodierung ist ein Informationscode, der im Kurzzeitgedächtnis
zwischengespeichert wird. Das Kurzzeitgedächtnis ist in seiner
Kapazität und Kontinuität nur begrenzt aufnahmefähig. Die
Informationen müssen deshalb weiterverarbeitet werden. Ein
gewisser Teil wird durch innere Wiederholung aufgefrischt und dem
Kurzzeitgedächtnis zurückgeführt. Ein weiterer Teil der
Informationen geht durch Vergessen verloren. Wird die Information
als erhaltenswert angesehen, erfolgt ein Transfer in das
Langzeitgedächtnis. Dort gespeichertes Wissen ist je nach
Kodierungsgrad als dauerhaft gespeichert bis weniger relevant
eingestuft und kann damit auch dem Vergessen unterliegen.
Der Prozess des Lernens bestimmt den gesammten Weg von der
Informationsaufnahme bis zum Transfer in das Langzeitgedächtnis.
Die Frage nach Effizienz des Übertragungskanals ist dabei
abhängig von der Koderierung der Informationen, d.h. der
Effizienz der Lernmethoden.
2.3.7 Entdeckendes
Lernen nach Bruner
Bruner betonte in seinem Konzept vom entdeckenden Lernen die Notwendigkeit, mit dem Schüler vor allem Methoden der Entdeckung zu üben. Der Schüler soll relativ selbständig Probleme lösen. Auf diese Weise ergeben sich Transfermöglichkeiten von bereits erfahrenen Begriffen und Situationen, die später als Sonderfälle des ursprünglich gelernten erkannt werden. Die Wissensmenge wird im Gehirn in kognitive Strukturen aufgebaut im Sinne von Findeverfahren und Problemlösungstechniken. Dem Schüler werden durch diese Art des Lernens fundamentale Regeln und Begriffe vermittelt um spätere Sachverhalte verstehen und Probleme lösen zu können.
Ein Beispiel ist der Unterrichtsversuch, Studenten nicht über
das Thema "Computereingabegeräte" zu unterrichten,
sondern sie auf Basis des bereits bekannten Wissens über die
Elektrotechnik, Mechanik, Sensorik und dem Design anzuleiten,
mögliche Lösungen zu finden.
2.3.8 Lernen durch
Problemlösung nach Skowronek
Dieses mehr dem Konstuktivismus als Konvignitismus zugeordnete Lernmodell baut auf dem Transfer von Wissensbeständen aus dem Gedächtnis auf unterschiedliche Lösungsvarianten auf. Genau dies setzt auch Bruner voraus, zusätzlich jedoch kommen die Methoden der Informationsverarbeitung nach Brower/Hilgard und die ableitbaren Lernhilfen zur Anwendung. Es handelt sich daher mehr oder minder um eine Verknüpfung der bereits besprochenen Konzepte des Kognitivismus. Was das Problemlösen jedoch abhebt, ist die Vernetzung bestehender Wissenbeständen mit neuen zunächst isolierten Erkenntnissen. Diese Vernetzungen wiederum sind dann in größeren Strukturierten Einheiten für Problemlösungen abrufbar.
Der Vorgang läuft konkret nach dem Schema Problemdefinition,
Lösungsstrategien auswählen, Problemlösung anstreben ab. Als
Lösungsstrategien sind bekannt:
2.4 Zusammenhang zwischen Lernmodellen und Lerntheorien
Wie sich zeigt, gibt es die verschiedensten Methoden und Ansätze um das Lernen wissenschaftlich zu beschreiben. Es kann also keinen allgemein gültigen Weg geben, der angibt wie ein Lernsystem zu erstellen ist. Vielmehr ist eine Charakterisierung in verschiedene Lernsoftwarearten notwendig, wobei jede für sich einem (oder mehreren) geeigneten Lernmodell(en) zu zuordnen ist. Erst nach dieser Abgrenzung ist eine genauere inhaltliche Beschreibung der Planungsabläufe möglich. In Kapitel 3 (Lernsysteme) werden die einzelnen Lernsysteme zu kategorisieren und einem geeigneten Lernmodell zu zuordnen sein.
Abschließend zu diesem Kapitel ein Übersicht der
Lerntheorien und den Ihnen untergeordneten Lernkonzepten
(Lernmodellen):
Abbildung 5 | ||
©1997, T.Hofmann |